Die Gottheiten der Nord- und Mitteleuropäer
Loki

In diesem Artikel wenden wir uns der facettenreichsten und damit auch am schwersten zu beschreibenden Gottheit zu, dem Gott Loki. Sein ganzes Wesen scheint voller Widersprüche zu stecken und auch seine Taten lassen einen vielschichtigen Charakter erahnen. Doch zunächst einmal in Kürze das, was Euch in diesem Artikel erwartet. Ich werde beschreiben, wer Loki ist, woher er kommt, wo also seine Wurzeln liegen, welche Kraft er repräsentiert und zwar sowohl in naturmythologischem als auch in kulturellem Sinn. Danach werden uns die Wesenszüge und die Aufgaben dieses Gottes klarer vor Augen liegen als bisher.

In der Völuspa (Strophe 18), dem umfassendsten der Götterlieder, tritt ein Gott namens Lodur auf. Er tritt auf bei der Beseelung des ersten Menschenpaares und zwar zusammen mit Odin und Hönir. Lodur gibt Ask und Embla, so ist der Name des Paares, etwas, das im Original als La bezeichnet wird. Das Wort La gilt in vielen Quellen als unübersetzbar, einige Interpreten übersetzen es mit Lebensröte, frische Farben und Lebenswärme. Es stellt einen der drei Seelenteile dar.

Die drei Gottheiten, die diese drei Seelenteile spenden, symbolisieren auch drei Elemente, nämlich Luft (Odin), Wasser (Hönir) und Feuer (Lodur). Das vierte Element, Erde, und die dazugehörigen Erdgöttinnen, sind durch das Symbol des aus der Erde wachsenden Baumes dargestellt. Wir erinnern uns, das nach unserer Überlieferung die Menschen aus Bäumen, der Mann aus einer Esche (Ask) und die Frau aus einer Ulme (Embla) entstehen.

Der erwähnte Gott Lodur tritt nur in diesem urzeitlichen Schöpfungsmythos auf und später nicht mehr. Er stellt gewissermaßen eine frühe Form des Loki dar bzw. die Urkraft, die Lodur entspricht, erfährt über die Zeit einen gewissen Wandel zu der Kraft, die dann Loki repräsentiert. Das enge Verhältnis zwischen Lodur und Loki wird uns im Laufe dieses Artikels noch deutlicher werden.

Zum weiteren Verständnis der Figur des Loki werde ich nun sein Verhalten in einigen Mythen beschreiben und deuten.

In der Liederedda findet sich unter den Götterliedern die Thrymskvida oder auch Hamarsheimt (Thryms-Sage oder des Hammers Heimholung).

In diesem Lied wird beschrieben, wie Thor erwacht und gewahr wird, daß ihm sein Hammer gestohlen wurde. Loki wird auf Erkundungsreise geschickt und macht den Dieb ausfindig. Es ist der Riese Thrym, der für die Herausgabe des Hammers Freya als Braut verlangt. Auf Vorschlag Heimdalls verkleidet sich Thor als Braut und Loki begleitet ihn als Dienerin. Nur Lokis List und süßen Worten ist es zu verdanken, daß der Betrug nicht auffliegt und der "Braut" Thor nach alter Sitte der Hammer Mjöllnir in den Schoß gelegt wird. Es ist klar, was mit den Riesen passiert, als Thor den Hammer in Händen hielt.

Naturmythologisch handelt es sich hier um das Erwachen Thors im Frühjahr. Indem er seinen Hammer wiedererhält, den er im Winter verloren hatte, ist er in der Lage, die Winterriesen zu vertreiben (Frühjahrsgewitter im März/April).

Loki zeigt sich hier also deutlich auf der Seite der Götter und trägt nicht unwesentlich zum Gelingen des Unternehmens bei.

Ein völlig anderes Verhalten legt er zum Beispiel im letzten Teil der Völuspa an den Tag. In Strophe 51 heißt es:

"Der Kiel kommt von Osten, Muspels Leute

Werden kommen über's Meer und Loki steuert"

Muspels Leute sind die Feuerriesen, ihre Ankunft wird hier gemeldet und es wird klar auf wessen Seite Loki steht, da er es ist, der das Schiff dieser Riesen steuert.

Beim Ragnarök, dem Götterschicksal, kämpft er gegen Heimdall und fällt mit ihm. Dieses gegensätzliche Verhalten wirft einige Fragen auf.

Eine Antwort darauf erhalten wir durch einen Beinamen des Loki. Er lautet "Frühjahrsgefährte der Götter".

Durch diesen Beinamen wird uns einiges klarer.

Die Heimholung von Thors Hammer fällt in die Zeit des Frühjahres und in dieser Jahreszeit ist Loki den Göttern noch einige Male eine große Hilfe, so z.B. beim Bau von Asgard.

Zu Mittsommer ändert sich sein Verhalten, nun wendet er sich gegen die Götter und den Riesen zu. Er verschuldet Baldurs Tod, indem er den blinden Hödur anstiftet, auf diesen zu schießen. Im Herbst und beginnenden Winter schließlich, der Zeit des Ragnarök, steht er völlig auf der Seite der Riesen.

Loki hängt keineswegs sein Fähnchen nach dem Wind, er ist vielmehr der Gott der Umwandlung. Er ist derjenige, der das Rad der Zeit unaufhörlich vorantreibt, der dafür sorgt, daß sich alles ändert und nichts so bleibt, wie es ist.

Im Frühjahr hilft er den Göttern, die Welt zu ordnen und die chaotische Macht der Riesen zu brechen, im Spätsommer und Herbst hingegen treibt er das Schicksal der Götter voran.

Er hilft mit, die Zeit des Sommers zu beenden, aber auch, den Winter zu vertreiben.

Und mal ehrlich, wer möchte schon immer Sommerhitze haben oder dauerhaft einen frostkalten Winter?

Das hier Dargestellte macht natürlich nur einen Teil des vielschichtigen Wesens von Loki aus, aber es zeigt, so meine ich, das wesentliche Element seines Charakters. Loki ist halt wie das Wildfeuer, manchmal ein Segen, manchmal ein Fluch, aber immer ein bißchen unberechenbar.

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