Eine grundsätzlich neue Betrachtung der Runen
von Uwe Ecker, Ve-Gode

Vergleicht man die Runenlieder mit anderen magischen Überlieferungen, so stellt man fest, daß die Runen ein seltsames magisches System sind.

Das ägyptische Totenbuch z.B. enthält Zaubersprüche, also Sprüche, die durch ihre Präsenz selber eine Wirkung entfalten sollen.

Meist spielen solche Sprüche und Rituale auf mythische Ereignisse an.

Die aktuellen Situation des Zauberers oder seines Klienten wird mit dem mythischen Ereignis gleichgesetzt. Dadurch sollen höhere Mächte dazu bewegen werden, ein ähnliches Ergebnis wie in jenem mythischen Ereignis auch in der aktuellen Situation zu gestalten.

Ganz anders verhält es sich mit der Überlieferung der Runen. Kein einziges Runenlied ist im Sinne der obigen Vorgehensweise ein Zauberspruch.

Alle Runenlieder beschreiben nur, was man mit einer Rune und mit deren Lied erreichen kann. Doch gibt es keine Anleitung, wie dies zu geschehen hat.

Ein jedes Runenlied beschreibt nur einen Zustand, der das Ziel einer magischen Operation mit Hilfe der Rune oder des dazugehörigen Galdor, des Zauberliedes, sein kann, ohne daß jedoch verraten wird, mit welchen Mitteln dies bewirkt wird.

Das Runatal selber gibt also aufschluß über die Ziele, die mit einer Rune erreicht werden können. Um der tatsächlichen Praxis näher zu kommen, kommen wir nicht umhin, zusätzliche andere Quellen heranzuziehen.

Die meisten Runenlieder weisen über Zeiten und Orte nicht unbeträchtliche Abweichungen voneinander auf. Daher ist es schwierig, durch den Vergleich der einzelnen Strophen die in unterschiedlichen Liedern zu einer Runen überliefert sind, eine durchgängig gleiche Bedeutung einzelner Rune zu extrahieren.

Auch hinsichtlich der Anzahl der Zeichen aus verschiedenen Zeiten und unterschiedlichen geographischen Gegenden weisen die meisten Runenreihen ziemliche Variationen auf: 24 Runen des älteren Futhark, 16 Runen des jüngeren, 33 des altenglischen, dazu unzählige Funde unvollständiger Reihen oder von Reihen leicht veränderter Reihenfolge. Und schließlich Odins Runenlied, welches ausgerechnet 18 Runen beschreibt, was mit keiner gefundenen Reihe übereinstimmt und als Übergangserscheinung zu werten ist: Man benutzte zwar nur noch 18 statt 24 Runen, wollte sich jedoch von einigen der Zauber, welche zu den überflüßig gewordenen Runen gehören, nicht trennen.

Insgesamt ist man hier leicht versucht, rasch alle Ungleichheiten als Produkte von Fehlern und historischen Wandlungen wegzureden und einzuebnen.

Wer so vorschnell Informationen ausblendet, der versäumt die Gelegenheit, wirklich etwas über die Runen zu lernen, denn gerade diese Unterschiedlichkeiten zwischen den Reihen beinhaltet einen sehr wichtigen Hinweis bezüglich der Natur der Runen: Es handelt sich einfach um ein magisches System, welches nicht über Raum und Zeit stabil ist.

Vielmehr handelt es sich um eines, das sich wandelt, so daß es insgesamt in Variationen auftritt.

Solche Variabilität über Zeit und Raum findet man im Überigen auch in den Traditionen anderer non-literater Kulturen.

Der Gedanke, ein religiöses oder magisches System könne Wandlungen unterliegen ohne dadurch an Wahrheit und Wirksamkeit einzubüßen, befremdet uns nur, weil wir in einer monotheistisch geprägtenen Gesellschaft aufgewachsen sind. Hier geht man stillschweigend davon aus, daß es ein ewiges und unwandelbares Jenseits gibt, welches von der diesseitigen, im Wandel begriffenen Welt getrennt ist.

Magische Systeme haben gefälligst dem Reich des Ewigen anzugehören und daher überzeitliche und vom Raum unabhängige Wahrheit zu repräsentieren.

Ich möchte hier dazu einladen, dieses Empfinden einmal für eine Weile zurückzustellen, - es wird sich lohnen !

Akzeptieren wir einstweilen die Vielfalt, mit der uns die Runen über Zeiten und Räume hinweg entgegentreten und respektieren wir diese Information als eine wesentliche Aussage über das System der Runen.

Eine solche Einstellung hat nun eine interessante Konsequenz, die uns auf einen völlig neuen und vielversprechenden Weg bei der Erforschung der Runen bringt:

Es gilt nun nicht mehr, die einzig wahren Bedeutung jeder einzelnen Runen zu suchen, was eher dem Denken und Empfinden der monotheistischer Stifterreligionen entspräche.

Statt dessen richtet sich unser Bestreben nun darauf, den Vorgang zu entdecken, durch den sich die Runen in den Prozeß universeller Wandlung einbinden.

Es geht zunächst darum, wie die Runen immer neu gefunden werden !

Die wesentliche Frage ist nun, wie das individuelle Auffinden seiner eigenen Runen und der eigenen Galdor (Zauberlieder) bei der Einweihung des einzelnen Thuls (Schamanen) gelingt. Hinweise auf diese Praktiken sind in dem Mythen und heiligen Liedern zahlreich vorhanden. Als die wichtigest Quelle dazu jedoch muß nach wie vor das Havamal gelten, da dort Odins eigene Einweihung beschrieben wurde.

Diese dem heutigen Stand der Kenntnis der Überlieferung und der tatsächlichen Magie unserer Vorfahren angemessenen Betrachtungsweise sind die Grundlage unsere Runeneinweihungsseminare.

Bisher wurde u.a. gezeigt, daß das System der Runen wie die magischen Überlieferungen anderer non-literaten, naturverbundenen Religionen auch, sich über Zeiten und Räume hinweg wandeln.

Also richtet sich unser Bestreben nun darauf, den Vorgang zu entdecken, durch den sich die Runen in den Prozeß universeller Wandlung einbinden.

Es geht zunächst darum, wie die Runen immer neu gefunden werden !

Halten wir die Fakten noch einmal im Überblick fest:

  1. Es gibt aus etwa den gleichen Zeiten an verschiedenen Orten unterschiedliche Runenreihen.
  2. Es gibt zu verschiedenen Zeiten am gleichen Ort verschiedene Runenreihen.
  3. Es gibt zu einer Zeit an einem Ort eine Konvention, also sozusagen eine offizielle Runenreihe.
  4. Innerhalb eine Tradition zu einer bestimmten Zeit und an einem Ort weisen die Reihen verschiedener Eruler gewisse individuelle Variationen auf.

Die wesentliche Frage ist nun, wie das individuelle Auffinden seiner eigenen Runen und der eigenen Galdor (Zauberlieder) bei der Einweihung des einzelnen Thuls (Schamanen) gelingt. Hinweise auf diese Praktiken sind in dem Mythen und heiligen Liedern zahlreich vorhanden. Als die wichtigste Quelle dazu jedoch muß nach wie vor das Havamal gelten, da dort Odins eigene Einweihung beschrieben wurde.

Runatal
Odins Runenlieder

138.
Wohl weiß ich,
daß ich am Windbaum hing,
neun ganze Nächte,
speerverwundet,
dem Odin geopfert,
ich selber mir selbst -
an jenem Holz,
von dem niemand weiß,
aus welchen Wurzeln es erwächst.

Das Havamal setzt die Runen und deren magische Anwendung in Beziehung zum Weltenbaum. Hier findet Odin in seiner Selbstopferung die Runen.

Zuerst ist er an jenen Baum, der das sich entwickelnde Universum versinnbildlicht, gebunden. Er ist nicht fähig, sich davon zu lösen, ist praktisch Eins mit ihm.

Daher wollen wir uns hier einmal genauer mit dem Ort der Einweihung, dem Weltenbaum beschäftigen.

Die Weltesche wird als Mimameidr (Mimirs Baum), als Lärald (Schutz-/Feuchtigkeitsspender),besonders aber als Yggdrasil (Schreckers Pferd) bezeichnet. Das "Pferd des Schreckers, des Odin" legt den Vergleich mit der hölzernen Trommel der Schamanen nahe. Solche Trommeln werden oft mit einer Darstellung des Weltenbaumes versehen. Im Norden heißen solche Trommeln "Runebomme", was soviel wie "Die Trommel des Zaubers, des Geheimnis" bedeutet.

Der Weltenbaum ist strukturelles Modell der mythischen Ebenen des Universums.

Die grobe Einteilung in Wurzel, Stamm, Krone, entspricht der in die Welt der Totengeister, Welt der Menschen, Welt der Götter.

Eine feinere Unterteilung erhält man durch Dreiteilung der obigen drei Ebenen.

Die Unterwelt gliedert sich dann in Niflheim, der kalten Urwelt, dem Totenreich Hel und dem Reich der Zwerge. Die mittlere Etage unterteilt sich in das Reich der Riesen, das der Menschen und das der Alben. Die Oberwelt umfaßt dann die Bereiche der beiden Göttergeschlechter sowie die feuerige Urwelt.

Der Weltenbaum ist ein mythischer Ort der Läuterung, Heilung und Einweihung, symbolisiert durch die Quellen des Vergessens, des Lebens und der Weisheit an seinen Wurzeln.

Die Götter halten ihr Thing an diesem Baum. Sie partizipieren an seiner Weisheit. Doch unterliegen auch sie den Mächten des Schicksals, dargestellt durch die Nornen.

Besonders im Vergleich mit anderen Sinnbildern der Welt werden die Besonderheiten des Weltenbaumes deutlich.

Omphalossteine, die von den Druiden als Nabel der Welt verehrt wurden, stellen das Ewige und Unwandelbare in der Welt dar.

Vergleichen wir den Baum mit dem Stein, so können wir einige Unterschiede entdecken.
Zunächst ist die Komplexität des Baumes größer und augenfälliger als die des Steines.
Ein Baum ist lebendig, unterliegt der Veränderung. Er stirbt an einigen Bereichen ab, um an anderen Stellen zu wachsen und sich zu entfalten.

Durch den Wechsel der Belaubung im Jahreszyklus ist der Baum ein Sinnbild der Wiedergeburt, des Werdens und Vergehens, im Gegensatz zum immer gleichen Stein.

Der Baum ist also eine Metapher für das komplexe, lebendige, sich wandelnde Universum.

Das ist wichtig, denn an diesen universellen Baum ist Odin aufgehängt, an diesen gebunden und damit gleichsam eins mit ihm.

Bevor Odin die Runen findet reitet er den Weltenbaum, er erfährt die Kräfte des Baumes als seine eigenen, ja, er wird selbst zu einem Teil des lebendigen Universums.

Das Erleben dieses mystischen Einsseins mit dem Weltenbaum zu vermitteln und zu helfen, dieses Erfahrung mittels der Runen zu strukturieren stellen einen wesentlichen Bestandteil unserer Arbeit in den Runenseminare dar.

Wir werden auch in Zukunft diese Seminare anbieten. Diesbezügliche Anfragen können auch weiterhin an die Redaktion des Runensteins gerichtet werden.

Betrachten wir nun die nächste Strophe, die uns über die Einweihungserfahrung Odins aufklärt:

I39.
Sie reichten mir
weder Brot noch Trinkhorn;
da spähte ich nieder,
raffte die Runen,
schreiend ergriff ich sie
und fiel dann vom Holz ab.

Versetzen wir uns in Odins Lage: In welcher Verfassung befindet sich jemand, der verwundet, hungernd und dürstend an einem Baum aufgehängt ist.

Er erfährt eine im höchstem Maße unangenehme Ausnahmesituation. Und er entwickelt den starken Wunsch, daß dies endlich aufhört. Er wünscht sich sehnlichst Mittel und Wege zu finden, diesen Zustand zu beenden, endlich wieder in die gewohnte Wirklichkeit einzutreten, wo er heil und satt und zufrieden ist.

So geht es also auch Odin, was ganz klar darin ausgedrückt wird, daß der Gott umherspäht, also nach Abhilfe sucht.

Dies also ist die Ausgangslage, der Zustand, die Runen zu entdecken:

Odin hat den übermächtige Wunsch nach Hilfsmitteln.

Machen wir nun einen kleinen Exkurs zu dem, was uns die Runenlieder mitteilen:

Sie verraten uns nicht das "Wie", sondern das "Was". Und was sich mit einem Hilfsmittel bewirken läßt, das ist genau das, was einen Menschen in einer Notsituation als erstes beschäftigt. das "Wie" des Einsatzes dieses Mittels folgt erst auf die Auswahl des geeignetsten.

Noch etwas wichtiges verrät uns die obige Strophe des Havamal:

Odin findet, was er benötigt, aus sich selber heraus. Es kommt niemand und erklärt ihm die Runen. Er hat alle notwendigen Kenntnisse bereits in sich.

Er blickt nieder, nimmt die Runen auf, schreit und ist dann fähig, sich vom Stamm des universellen Baumes zu lösen.

Das beschreibt einen sehr beschleunigten Prozeß der Individuation, der sich schließlich in einem Schrei der Überraschung, der freudigen Erkenntnis ausdrückt.

Odin blickte nieder, gleichsam in das Dunkel seiner Vergangenheit, und entdeckte dort die Runen. Er fand das, was die Runenlieder beschreiben, in seinem eigenen Leben wieder. Augenblicklich ordneten sich diese Erlebnisse, wurden durch das System der Runen sinnvoll geordnet. Im Licht dieses Sinns erkannte sich Odin selber und erkannte den Wert, den die Erlebnisse seines Lebens jetzt und in Zukunft für ihn haben werden. Die Erkenntnis und das "Raffen" des eigenen Lebens, das ist die Ursache dieses Schreis.

Es ist kein Schrei der Erlösung von seinen körperlichen Qualen, denn die Dauern ja an, bis er sich vom Baum gelöst, seine Wunde versorgt, gespeist und getrunken hat, was erst in der nachfolgenden Strophe der Fall ist.

Nein, es ist der Jubel der erstaunten Erkenntnis, der verwunderten Einsicht in sich selbst und in seine Möglichkeiten, der sich in diesem Schrei ausdrückt.

Das ist ein Schrei der Selbstwerdung.

Es ist mir wichtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß es mir hier nicht um eine akademische Diskussion geht, sondern wirklich um die praktische Fragen:

"Wie kann ich die Runen finden?"

"Was sind die Voraussetzungen dafür ?"

und

"Wo muß ich da suchen ?"

Fassen wir hier einmal zusammen, was wir jetzt wissen:

  1. Runen erwirbt man durch eine individuelle Einweihung.
  2. Die Voraussetzung dafür sind:
    - ein Zustand, in dem man einen intensiven Wunsch nach solchen Hilfsmitteln hat,
    - ein "Unlösbar -mit -der -Weltesche -Verbunden -Sein", also das Einssein mit dem Universum.
  3. Das Finden der Runen ist ein intensiver Individuationsprozeß:
    - Man findet die Runen in der Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit.
    - Man erfährt eine Sinnstiftung in der Vergangenheit, und
    - findet im Zusammentreffen von Erinnerungen und Einssein mit dem Universum die Runen.

Soweit der Prozeß, der zum Finden der Runen führt.

Wir wissen nun also, daß die Runen etwas sind, was eine Verbindung herstellt zwischen den einzelnen Lebenserfahrungen eines Menschen und dem Prozeß des Wandels, des Werdens und Vergehens im gesamten Universum, der durch das Sinnbild des Weltenbaums dargestellt wird.

Die Stellung der Runen als Schnittstelle zwischen der allgemeinen Entwicklung der Wirklichkeit und der individuellen Wirklichkeitserfahrung erklärt die Unterschiede zwischen den Runenreihen in verschiedenen Regionen wie auch zu verschiedenen Zeiten.

Zeit und Raum sind wesentliche Determinanten des subjektiven Erfahrung des Menschen.

Ändert sich die Erfahrung, so ändert sich auch das Runensystem.

Die individuellen Unterschiede zwischen Erulern, Thulen und Goden einer Zeit und einer Region ist die Folge der Tatsache, daß es sich stets um auch individuell geprägte Erfahrungen handelt, welche das jeweilige Runensystem prägen.

Darüber hinaus wird in der obigen Strophe des Havamal deutlich, daß daraus etwas höchst Praktikabeles entsteht, etwas das es Odin ermöglichte, sich aus seiner mißlichen Lage zu befreihen.

Und es muß etwas sein, was das Potential beinhaltet, all die von den Runenliedern genannten Wirkungen zu erreichen.

Die Erfahrung diesen magischen Potentiales zu vermitteln und zu helfen, dieses Erlebnis mittels der Runen immer wieder haben zu können, stellen einen wesentlichen Bestandteil unserer Arbeit in den Runenseminare. Wir werden auch in Zukunft diese Seminare anbieten. Diesbezügliche Anfragen können auch weiterhin an die Redaktion des Runensteins gerichtet werden.

Die Runen sind, wie wir erfahren haben, ein Bindeglied zwischen der andauernden universellen Werdung von Realität und der durch die Lebensgeschichte erfahrenen subjektiven Wirklichkeiten.

Die Runen ermöglichen es, den Prozeß der Realitätwerdung so zu programmieren, daß die Entstehung einer bestimmten Realität wahrscheinlicher wird.

Betrachten wir erneut das Havamal.

Bis hierher handelt es sich im engeren Sinne um die eigentliche Einweihung in die Runen, welche mit Odins Lösung vom Baum beendet ist.

Die folgenden Strophen beschreiben die Möglichkeiten, die sich Odin infolge des Auffindens der Runen eröffnen:

140.
Neun gewaltige Zauberlieder
lernte ich vom ruhmreichen Sohne
Bölthorns, dem Vater der Bestlas,
und tat einen Trunk
des köstlichen Mets,
geschöpft aus Ödrörirs Kessel.

Odin lernt vom Bruder seiner Mutter die neun Lieder der mythischen Welten.

Er erhält also vom weisen Riesen ein System, welches es ihm ermöglicht, seine Erfahrung, eins mit der Weltesche zu sein, zu ordnen.

Odin lernt, neun verschiedenen Realitätsebenen zu unterscheiden und zu diese zu bereisen. Das ist es, was der Name "Yggdrasil", also etwas "Odins Pferd", ausdrückt.

141.

Darauf gedieh ich,
ward erfahren
wuchs und fühlte mich wohl;
ein Wort führte
mich fort zum andern;
ein Werk führte
mich fort zum andern.

Die obige Strophe fast die Wirkung der gesamten Einweihung zusammen:

Positive Entwicklung, Bewußtsein der eigenen Erfahrungen, persönliches Wachstum, Wohlgefühl, intellektuelle Produktivität und Tatkraft sind die Folgen der gesamten Einweihung, von der das Finden der Runen nur das erste Drittel darstellt !

142.
Du wirst Runen finden
verständliche Stäbe,
starre, gewaltige
Zauberzeichen;
Odin färbte sie,
Götter erschufen sie,
es ritzte sie der Herr der Herscher.

Abschließend werden wir vom Gott persönlich aufgefordert, die Runen zu finden, seine Erfahrung zu teilen !

Es folgt eine Aufzählung der mythischen Wesen, welche über Runen verfügen, dann die Fragen nach den mit den Runen verbundenen Kulthandlungen, die Aufforderung, dies nicht zu übertreiben und endlich die 18 Runenstrophen des Havamal.

Der Aufbau des Liedes mit den vorangehenden Lebensregeln, der Beschreibung des Einweihungsprozesses, von dessen Auswirkungen und Verknüpfung mit dem Kult und den Mythen sowie der Angabe der Art, in der die einzelnen Runen wirken zeigt deutlich, daß es sich um etwas handelt, das dem Initianten bereits vor der Einweihung bekannt war. Es wäre widersinnig, jemanden erst in die Runen einzuweihen, also mit Macht auszustatten, und ihm erst nachträglich die notwendige Ethik zu vermitteln.

Da dieses Lied aber vor der Einweihung gelernt wurde, war es auch Odin selbst bei seiner eigenen Einweihung bekannt. Ja, die Darstellung der Einweihung ist zusammen mit den Runenstrophen des Liedes förmlich das katalytische Element der gesamten Initiation. Halten wir also fest:

Um in die Runen eingeweiht zu werden benötigt man

  1. den brennenden Wunsch danach,
  2. die Kenntnis der Runeneinweihung aus dem Havamal,
  3. den Zustand des Einssein mit dem Universum,
  4. einen systematischen Zugang zu seiner eigenen Lebensgeschichte.

Dann ist es möglich, die eigenen individuellen Realitätserfahrungen der Vergangenheit und den grundlegenden Prozeß der Werdung von Realität durch einzelnen Runen derart zu verknüpfen, daß bestimmte Realitäten gezielt abrufbar werden.

Nun gilt es herauszufinden, auf welche Weise man das bewerkstelligen kann.

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